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Lewis Hamilton: Die Dramen häufen sich

Von Peter Hesseler
Hamilton strebt neuen Horizonten entgegen

Hamilton strebt neuen Horizonten entgegen

Weltmeister-Serie Teil 6: Der McLaren-Star bleibt öfter liegen, steht aber immer wieder auf. Und verschafft sich eine neue Zukunft.

Lewis Hamilton wurd 2012 am Ende nach einer starken Saison WM-Vierter. Aber immerhin sicherte er sich einen anderen Titel: König von Amerika.

Vom Anbeginn seiner Grand-Prix-Karriere im Jahr entfaltet sich eine stürmische Liebesbeziehung zwischen dem Briten und der neuen Welt. Erster Sieg in Kanada 2007, zweiter Sieg in Indianapolis – nur eine Woche später. Als er dieses Jahr in Montreal anreist, ist er als einziger der Spitzenfahrer noch ohne Sieg. Höchste Zeit also, Verpasstes nachzuholen.

Zu Beginn des Rennens hat Hamilton nur Vettel vor sich, aber nicht lange. Er biegt eine Runde später zum Boxenstopp ab und bleibt danach vor dem deutschen Weltmeister. Dann taucht auf ein Mal Alonso vor ihm auf, den er sofort auf der Strecke wegbeisst. McLaren hat die beste Strategie gewählt. Und zum dritten Mal schon triumphiert Hamilton auf der Insel im St. Lorenz-Strom. Das klingt so einfach, doch man muss sich vor Augen führen, dass Hamiltons Teamkollege Jenson Button gleichzeitig phasenweise mit Marussia-Tempo unterwegs ist. Und überrundet auf Rang 16 einläuft.

Hamilton liegt wieder im Titelrennen, und zwar bestens, führt sogar in der WM-Wertung vor Alonso und Vettel.

Man muss schon tief in die Materie einsteigen, um Hamilton 2012 einen echten Fehler nachzuweisen. Und stösst dann auf sein Manöver von Valencia, dass ihn nach verpatztem Boxenstopp kurz vor Schluss in einem emotionsgeladenen Duell mit dem Williams von Pastor Maldonado zusammen führt. Und wertvolle Punkte kostet, zumal Alonso gewinnt.

Dieser Fehler, vielleicht ein halber, ist auf 20 Rennen und Qualifikationen betrachtet und vor allem in Relation zu dem Tempo, dass der Genius aus Stevenage durchweg an den Tag legt, eine weltmeisterliche Fehlerquote. Sein Team sieht es anders und rügt seinen Star, er solle doch überlegen, ob er in so einer Situation nicht mal zurückstecken könne.

Man bedenke: Die Kurve gehörte Hamilton…

Das war seitens McLaren das flache Signal zum falschen Zeitpunkt. 2011, als Hamilton sich in einen Privatkrieg mit Massa verstrickte und ihm die Gesichter der Rennkommissare vertrauter wurden als die seiner Ingenieure, bestärkte ihn das Team auf seinem fatalen Kurs. «Lewis ist ein Angreifer, das ist seine Natur. Die muss er beibehalten», sagte Teamchef Martin Whitmarsh damals.

Dieses Mal sollte er seine Natur zügeln, meinte Whitmarsh. Aber Hamilton lässt sich keine Fesseln anlegen. Von niemandem.

In Hockenheim bremst ihn noch ein Plattfuss, was ihn nicht davon abhält, sich rotzfrech gegen Vettel zurück zu runden. Der poltert: «Dumme Aktion.» Er meint aber eher: dumm gelaufen.  Der Heppenheimer, der dadurch den Anschluss an Alonso verliert, vertritt die Auffassung, ein Überrundeter dürfe nicht in den Kampf um den Rennsieg eingreifen. Aber bitte: Hamilton kämpft um den Titel und braucht jeden Punkt. Die FIA-Kommissare sehen das genauso. Hamilton ignoriert Vettels Anwürfe.

In Budapest zeigt er wieder Hamilton pur. Pole und Sieg, sehr souverän und geschickt vor Kimi Räikkönen im klar schnelleren Lotus ins Ziel manövriert.

In Spa hat er Pech. Der McLaren funktioniert tadellos, Grosjean aber nicht. Der Genfer lenkt seinen Lotus in Hamiltons McLaren und eliminiert Alonso gleich mit. Buttons Sieg zeigt, was Hamilton verliert, 25 mögliche Punkte. Und Button zeigt, wo Hamilton noch lernen kann. Er entscheidet sich für einen anderen  Frontflügel und sichert sich damit die Pole-position. Danach twittert Hamilton technische, teaminterne Details an seine Fangemeinde. Button rügt ihn: «Da arbeitet das gesamte Team über Monate hinweg an technischen Lösungen und dann serviert Lewis sie der Konkurrenz auf dem Silbertablett. Darüber sollte er mal nachdenken.»

Hamilton scheint noch noch immer nicht der ideale Teamplayer zu sein. Er hat charakterlich sowieso noch Nachholbedarf, wie er zuvor demonstrierte. Denn im Frühjahr hatte er es abgelehnt, für seinen Freund Adrian Sutil in München im Prozess um Körperverletzung (gemeinsamer Nachtclub-Besuch in Shanghai 2011) auszusagen. Hamilton wäre Sutils wichtigster Entlastungszeuge gewesen. Sutil wird verklagt. Und Hamilton hat einen Freund weniger.

Gewinnen kann Hamilton besser: In Monza holt er sich postwendend zurück, was er in Spa-Francorchamps verloren hatte – und zwar unbeeindruckt von der Starre der Vertragsverhandlungen und drohenden Gehaltskürzungen bei McLaren. Der Fahrer, der Siege und Pole-positionen angehäuft hat, soll weniger verdienen als bisher. Hamilton hält das für unakzeptabel, beklagt sich bei SPEEDWEEK im Interview: «Ich kämpfe seit Jahren mit dem Team um Freiräume.» Oft könne er vor lauter PR-Terminen nicht richtig trainieren.

All der Trubel scheint ihm im Cockpit nichts anzuhaben. In Singapur verhandelt er spät nachts vor dem Rennen mit Mercedes, am nächsten Tag hat er den Sieg vor Augen, als sein Getriebe streikt. Vettel profitiert und nimmt Fahrt auf. Der Pechvogel bleibt gelassen. Kein Wort der Kritik kommt über seine Lippen. Stattdessen, so berichtet Niki Lauda, setzt Hamilton am Mittwoch nach dem Rennen seine Unterschrift unter einen Dreijahresvertrag mit Mercedes. Und beendet damit die Laufbahn von Michael Schumacher zum Jahresende.

Als Hamilton in Fernost wegen falscher Abstimmung (Suzuka) und gebrochener Druckstrebe (Yeongam) mässig abschneidet, ist auch dieser Titel beim Teufel. In Abu Dhabi bleibt er erneut in Führung liegend auf der Strecke, muss Räikkönen den Triumph überlassen. Wieder wahrt er die Contenance.

Lewis gewinnt zwar noch in Amerika. Und das sehr überzeugend, indem er die wohl einzige Überholchance nutzt, um an Vettel vorbei zu ziehen. Er wird von SPEEDWEEK zum «Capt’n America» gekrönt. Aber es passt irgendwie ins Bild seiner Saison, dass er in Interlagos im Finale von Nico Hülkenberg abgeräumt wird – wieder mit guten Siegchancen.

Seinem vierten Gesamtrang 4 kann ein Hamilton nichts abgewinnen.

Nun könnte man mit Blick auf 2013 und seinen Wechsel zu Mercedes fast sagen: Es kann Hamilton eigentlich egal sein, wo er nicht Weltmeister wird. Er hat bereits selbst angekündigt, dass im nächsten Jahr nicht mit Siegen zu rechnen sei.

Aber er startet mit einem psychologischen Vorteil, denn niemand wird ernsthaft Grosstaten von ihm im Silberpfeil erwarten. Und: Schlechter als Platz 5 kann Mercedes eigentlich kaum werden. Jede Steigerung würde auch Hamilton zugeschrieben, der aber besonders auf 2014 schielt. Dann sieht er Mercedes als führenden Motorenhersteller in der besten Ausgangsposition für das neue Motoren-Zeitalter (V6 Turbo). Und sich selbst in idealer Ausgangslage.

Vielleicht muss er gar nicht so lange warten, bis sich Erfolge einstellen: «Wir wissen schon, was wir für 2013 am Auto verbessern müssen», sagt sein neuer Teamchef Ross Brawn. Das sagt er zwar jedes Jahr, aber die statistische Wahrscheinlichkeit, dass er eines Tages Recht behält, steigt mit jedem Misserfolg. Nach dem Motto: Irgendwann muss das Team doch mal einen Treffer landen.

Hamilton weiss: «Es wird sechs Monate dauern, bis ich bei Mercedes als Neuzugang Wirkung zeige.» Und doch können wir uns ganz sicher sein, dass er von Beginn attackiert. So, wie er 2007 bei seinem Debüt in Melbourne vor der ersten Kurve ins Rampenlicht schoss – auf den ersten Metern seiner Karriere und auf der letzten Rille an Teampartner und Zweifach-Weltmeister Alonso vorbei.

Hamilton kann nicht anders. Und mit seiner Unterschrift unter den Mercedes-Vertrag hat er nicht nur das Stuttgarter Team gestärkt, sondern allen Analysten im Fahrerlager einen zusätzlichen Gefallen getan. Denn bei Mercedes wird er sich mit Nico Rosberg messen. Und dann wird sich endlich zeigen, wie gut der Wiesbadener genau ist. Dessen bisherige Beifahrer waren schwierig zu bewerten: Mark Webber 2006 bei Williams, noch nicht auf seinem Höhepunkt angekommen, Alexander Wurz 2007 auf der Ehrenrunde seiner Karriere, Kazuki Nakajima 2008 und 2009 als hoffnungslos unterlegener Beifahrer, dann der etwas in die Jahre gekommene Rekord-Weltmeister Michael Schumacher bei Mercedes 2010 bis 2012.

Jetzt wird die Wiederaufnahme des Kartduells von einst an den Tag bringen, wer sich weiter entwickelt hat, Rosberg oder Hamilton.«Wir haben die beste Fahrerpaarung», freut sich der neue Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda. Das sagt er jetzt, da Hamilton an Bord ist. Über das Duo Rosberg/Schumacher hat er das nicht gesagt…

Lesen Sie am 29. Dezember im siebten Teil unserer Weltmeisterserie von
Kimi Räikkönen.

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