Marc Márquez: Die erste Duftmarke des Gnadenlosen

Kolumne von Michael Scott
Marc Márquez, der Gnadenlose

Marc Márquez, der Gnadenlose

Marc Márquez drang wie ein Wirbelwind in die MotoGP-Welt ein. Aber er hat berühmte Vorgänger: Spencer und Lorenzo zum Beispiel.
Es hat nicht lange gedauert, bis der junge MotoGP-Liebling seinem Spitznamen aus der Moto2 alle Ehre machte: Marquez, der Gnadenlose. Und wie. Sein erstes «schlag-zu-und-lauf-weg»-Opfer war sein ernster und strenger Landsmann Jorge Lorenzo, der aktuelle Weltmeister. Ort des Geschehens war Jerez und die neu benannte Lorenzo-Kurve. Die Vorzeichen könnten auch nicht klarer sein, wären sie in Stein gemeißelt.



Mehr noch als sein Sieg in Austin, mit dem er Freddie Spencer als jüngsten Sieger in der Köingsklasse ablöste, hat dieser Moment etwas eingeleitet, wonach wir schon lange schreien: Eine neue Ära! Dazu bedarf es auch keiner großen hellseherischen Fähigkeiten.

Die Geschichte spiegelt sich wieder. «Fast Freddie» Spencer machte es genauso. Er ärgerte 1983 regierenden König, Dreifach-Champion Kenny Roberts, und ebnete den Weg für eine, wenn auch kurze, brillante Episode, nämlich seine eigene.

Es gibt mehrere Beispiele, einige davon mit Mitwirkung von Lorenzo, als der Spanier noch ein junger Wilder war. Seine unbarmherzige Fahrweise auf einer 250er in Motegi brachte ihm gar eine Sperre für das nächste Rennen ein. Einmal in der MotoGP angekommen, schwor er öffentlich seiner robusten Fahrweise ab und wurde zum selbsternannten Schiedsrichter des fairen Fahrens.

Lorenzo: Schlagabtausch mit Simoncelli
Lorenzos Mission resultierte in einem offenen Schlagabtausch mit dem 2011 rasch aufgestiegenen Marco Simoncelli, der den Fairnessvorstellungen von Lorenzo wegen seiner harten Fahrweise samt Bodychecks entgegentrat. Die Auseinandersetzung gipfelte in einem Wortgefecht beim dritten Rennen in Estoril, das Lorenzo mit den Worten abschloss: «Wenn wir mit schweren, 300 km/h schnellen Motorrädern um die Wette fahren, spielen wir mit unseren Leben.»

Ein vernünftiger Aspekt. Lorenzo erwähnte dann, Simoncello dürfe sich keinen weiteren fahrerischen Fauxpas mehr leisten. Es war Simoncellis schlagfertige Antwort, die ihn populär machte und die um die Welt ging. «Okay, dann werde ich verhaftet», so seine Worte. Nur wenige Monate später starb der Italiener im Gefecht. So traurig. Von der Ironie wollen wir gar nicht reden.

Ein anderes Vorkommnis mit Lorenzo passierte in derselben Kurve, die jetzt seinen Namen trägt. Er war auch damals das Opfer. Es war im Jahr 2010, sein Gegenspieler – kein Geringerer als Dani Pedrosa. Vor drei Jahren schlug Jorge in der nächsten Runde zurück, überholte Dani – und gewann.

Diese Taktik wurde berühmt durch Rossi, der Sete Gibernau 2005 dort hemmungslos rempelte – und überholte. Die Lorenzo-Kurve ist eine V-förmige Linkskurve, in der man von rund 250 km/h auf knapp 75 km/h runterbremsen muss. Die G-Kräfte von 1,4 über fünf Sekunden des Bremsens hinweg sind nicht ganz ohne. Es ist nicht der schlimmste Bremspunkt auf der Strecke, aber doch ein recht anspruchsvoller.

Ein Führender kann sich dort sehr schwer verteidigen. Er muss vorsichtig reinfahren, der langsame Ausgang eröffnet dem Verfolger jedoch eine schnellere Rückkehr zur Ideallinie. Nimmt man die weitere Linie und bleibt lange rechts aussen (wie einst Gibernau und zuletzt Lorenzo), ist die Tür offen für Angreifer wie Rossi und Pedrosa und Márquez.

Das Problem: Lorenzo hatte nach dem Rennen in Jerez alle Mühe, den Ärger zu unterdrücken. Das könnte für ihn zur Belastung werden. Aber wenn Lorenzo ehrlich ist, muss er gestehen: Er hat seinen Gegner unterschätzt.

Wieder ein starker Widerhall aus der Vergangenheit: Junge wilde Tiger brechen in die Rennhierachie ein, die man zuletzt nur mit dem Wort «selbstgefällig» beschreiben konnte. Bis Márquez kam. Lorenzos ominöser Fehler war ein Beispiel von Selbstgefälligkeit.

1983: Spencer gegen Roberts in Anderstorp
Wir schreiben das Jahr 1983, Ort des Geschehens ist Anderstorp in Schweden. Es ist eine Strecke mit einer langen Geraden, die normalerweise als Startbahn für einen Privatflughafen dient, gespickt mit langgezogenen Kurven in sandigen Hügeln. In der Mitte eines Waldes, der selbst in der Mitte anderer Wälder steckte.
Letzte Runde, letzte Chance und Kennys Vierzylinder-Yamaha 500 war auf der langen Geraden einen Hauch schneller als Freddies Dreizylinder-Honda. «King Kenny» dachte, er hätte alles unter Kontrolle, wollte so bremsen, wie es einem Dreifach-Weltmeister gebührte, bis Freddie auf der Innenseite auftauchte. Und zu sagen schien: «Mach Platz – oder wir crashen beide.» Freddie gewann mit weniger als zwei Zehntelsekunden Vorsprung; ein Rennen später machte er seinen ersten WM-Titel perfekt.
Kenny erklärte mir später seinen Fehler: Unterschätzung eines jungen wilden Fahrers und dessen Willen, große Risiken einzugehen. Es änderte einiges.

Bei Lorenzo und Marquez wiederholt sich die Geschichte.
Der gnadenlose Marc hat noch nicht alles unter Kontrolle. Er hat in Doha hart gegen Rossi gekämpft und ihn schließlich beim zweiten Mal in Texas geschlagen. In Jerez war das Tableau jedoch ein anderes. Pedrosa zeigte das erste Mal in dieser Saison echte Klasse. Und da Dani nicht gern im Rampenlicht steht, machte es ihm nicht viel aus, dass sein erster Saisonsieg vom Kampf hinter ihm überschattet wurde.

Wie lange braucht Marquez noch, um auch Dani seinen Stempel aufzudrücken?

Vielleicht ist es schon geschehen. Hat bereits eine neue Ära begonnen? Nicht jeder ist davon überzeugt. Der dreimalige Weltmeister Wayne Rainey mahnte bereits zur Vorsicht. Es sei nicht selten, dass Rookies so unerschrocken in die Königsklasse platzen. Lorenzo trumpfte 2008 anfangs ebenfalls im Stil einer Boden-Boden-Rakete auf.

Aber wenn die Saison fortschreitet, fordert der Druck seinen Tribut. Und das Motorrad beisst zurück. Stürze können den ungezügelten Drang zähmen.

Was passiert also als Nächstes? Das werden wir bei den kommenden Rennen herausfinden. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir in Jerez erst die erste wahre Duftmarke des gnadenlosen Vormarsches von Marc Márquez gesehen haben.
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